Wir müssen LAUT werden

22. Januar 2022
Katharina Wildauer
Jan Lops

Ronja Ebeling ist jung, ambitioniert – und verzweifelt. Welchen neuen Herausforderungen junge Menschen in ihrem Berufs- und Privatleben heute begegnen, darüber hat die Journalistin ein Buch geschrieben.

In Tirol gibt es einen massiven Fachkräftemangel und viele offene Lehrstellen. Warum ist diese Ausbildung nicht mehr attraktiv für junge Menschen und wie kann sie es wieder werden?

RONJA EBELING: In den letzten Jahren ist eine Akademisierung unserer Gesellschaft erfolgt. Jungen Menschen wird vermittelt, dass sie studieren müssen, besonders wenn sie Matura haben. Wir müssen davon abkommen, mit höherem Abschluss eine bessere Entlohnung in Aussicht zu stellen. Es sollten vielmehr die Fähigkeiten und das Wissen zählen – danach sollte man entlohnt werden. Wir müssen außerdem flexibler für unterschiedliche Lebensläufe werden. Berufe werden sich stark verändern, und darauf müssen wir flexibler reagieren: Es ist egal, ob du etwas studiert oder gelernt hast, solange du die Fähigkeiten dafür mitbringst. Ich sage immer: Flieg keine Flugzeuge oder operier keine Menschen, ohne es gelernt zu haben, aber beim Rest können wir flexibel sein.

Du selbst hast dein Studium abgebrochen und sprichst darüber, wie tabuisiert dieses Thema nach wie vor ist. Was rätst du jenen, die mit einer ähnlichen Entscheidung kämpfen?

Hör auf dein Bauchgefühl. Bei mir hat sich damals die Chance für ein Volontariat ergeben und ich dachte: Warum warten, wenn ich jetzt die Möglichkeit habe? Ich würde sagen, ich habe dort mehr gelernt als in dem Studienjahr, weil es praxisbezogener ar und ich ein starkes Netzwerk hatte.  Löse dich von gängigen Lebenslaufmodellen, die sagen, du musst zuerst A, B und C machen, um D zu tun. Du kannst machen, wie es sich für dich ergibt und gut anfühlt.

Du schreibst im Buch auch über die „familiäre“ statt der „gläsernen“ Decke, an die junge rauen im beruflichen Kontext stoßen. Was sind die Gründe für traditionell weiblich und ännlich erachtete Branchen und Berufe und wie überwinden wir diese Ansicht?

Ich glaube, wir müssen Vorbilder sichtbar machen. Ich war in meiner Kleinstadt mit dem Berufswunsch Journalismus damals eine Exotin. Heute sind Vorbilder durch Social Media viel zugänglicher. Ich kann Lea-Sophie Cramer und Verena Pausder auf LinkedIn und Instagram folgen und mich empowered fühlen. Ich muss nicht BWL studiert haben, um irgendwann mal ein Unternehmen zu gründen. Ich finde es faszinierend, dass jüngere Menschen durch Social Media und Sichtbarkeit von Vorbildern ein ganz anderes Mindset haben.

Du meinst im Buch, dass das Ausmaß der Pandemie und der politischen Entscheidungen auf junge Menschen und deren Zukunft noch gar nicht bewusst ist. Welche Konsequenzen siehst du?

Auf jeden Fall die mentale Gesundheit. Wer sich finanzielle Sorgen machen muss, weil der 450- Euro-Job wegfällt, wird dieses Gefühl nicht so schnell los. Die Politik muss merken, dass meine Generation die ist, die das Land nach Corona wieder aufblühen lassen soll. Aber wie soll sie das schaffen, wenn sie mental so angeschlagen ist und nicht die nötigen Rahmenbedingungen hat? Man muss ein Jahr auf Therapieplätze warten – wie soll das funktionieren, frag ich mich.

Junge Menschen können gut nachempfinden, worüber du schreibst – im Gegensatz zu Älteren. Sollten die das Buch aber nicht eher lesen? Was können Junge mitnehmen?

Junge sollten das Buch lesen, weil sie merken, dass sie mit ihren Gefühlen und Gedanken nicht allein sind. Dass es sich um strukturelle Probleme handelt, die strukturelle Lösungen brauchen. Die ältere Generation sollte es lesen, damit wir es schaffen, wieder in einen Dialog zu kommen. Damit sie die Perspektive verstehen und wissen, was wir brauchen. Es ist so viel, dass an gar nicht weiß, wo man anfangen soll, sich zu erklären. Das ist nicht nur mein Bauchgefühl – deshalb auch die Studien und Fakten im Buch.

Du schreibst, dass das Lesen deines Buches wütend machen soll. Was tun wir mit dieserWut?

Es gibt zwei Arten von Wut: die aggressive Wut, die uns nicht weiterbringt. Und die konstruktive Wut, aus der wir Energie ziehen können, die uns in Bewegung setzt, die uns aufschreien ässt. Dahin müssen wir kommen. Das Schlimmste ist, uns von der Angst lähmen zu lassen. Wir müssen uns bewegen, ganz laut werden und für unsere Rechte, unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit einstehen. Konstruktiv laut werden.

Ronjas fünf Tipps bei der Berufs- und Ausbildungswahl

  1. Lege nicht so viel Wert auf Abschlüsse: Das ist nicht zu 100 Prozent wichtig, ich habe selbst keinen Bildungsabschluss außer meinem Abitur.
  2. Bau dir ein Netzwerk auf: Es ist wichtig, Kontakte zu pflegen, Verbündete zu suchen und zu sehen, wie man wo zusammenarbeiten kann. Welche gemeinsamen Ziele hat man und wie kann man sie verfolgen? Man sagt: Wenn du schnell gehen willst, geh alleine. Wenn du weit gehen willst, geh zusammen.
  3. Sprich ehrlich und offen über Geld und Honorar: Nur wenn man sich austauscht, kann man sehen, dass man genug verdient. Wenn sich Mitarbeiter: innen und selbstständige nicht verbünden, dann ziehen die Unternehmen sie ab – dem muss man sich bewusst sein.
  4. Hör immer auf dein Bauchgefühl: Mach nichts, wo du dich nicht fühlst oder das sich nicht richtig anfühlt.
  5. Es ist in Ordnung, neu anzufangen: Gerade als Einsteiger:in – ich habe etwas gelernt, aber merke, dass es mir nicht (mehr) gefällt. Es ist okay, sich umzuorientieren und neu zu orientieren.

Zur Person:

Ronja Ebeling, geboren 1996, ist als freiberufliche Redakteurin, Sprecherin und Video-Creatorin u.a. für den Stern, Spiegel und die Süddeutsche Zeitung tätig. In ihrer Arbeit beschäftigt sie sich vor allem mit der jungen Perspektive, einer Sexualität ohne Zwänge und einer gleichberechtigten Gesellschaft. 2021 erschien ihr erstes Buch.

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"Löse dich von gängigen Lebenslaufmodellen. Du kannst machen, wie es sich gut anfühlt." Ronja Ebeling, Journalistin und Autorin

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